Idee

Die Idee zum KOLLEKTIVEN LERNEN

Kollektives Lernen ist ein dezentrales, selbstorganisiertes Programm aus Gesprächen, Workshops, Spaziergängen, Gemeinschaftsessen und Filmabenden. In Berliner Freiräumen wollen wir Programme zu einer sozial und ökologisch gerechten Stadt organisieren und unterstützen. Unsere Vision ist ein dezentrales und selbstorganisiertes Lernnetzwerk aus einer Vielzahl von Menschen, Gruppen und Orten, die trotz aller Unterschiede die Notwendigkeit zu einem schnellen und tiefgreifenden Wandel erkennen und sich praktisch für diesen engagieren.

Diese Akademie des Wandels wird von unten initiiert, funktioniert ohne Zugangsbeschränkungen und bildet ein Netz aus Lern- und Teilhabeangeboten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Erfahrungen und Kompetenzen des konkreten Mitgestaltens in Kiezen, Nachbarschaften und Freiräumen. Die Formate sind für alle Interessierten offen und in den Alltagszusammenhang der Menschen eingebettet. Ziel ist es, vor dem Hintergund der globalen ökologischen Krise lokale Handlungsmöglichkeiten in einzelnen Freiräumen, Communities und Nachbarschaften zu stärken und diese miteinander zu verbinden.

„Kollektives Lernen“ heisst für uns Wissen dazu austauschen, wie wir gemeinschaftlich zu einer sozial und ökologisch gerechteren Stadt sowie ihrer Beziehung zum ländlichen Raum beitragen können. Wir gehen vor dem Hintergrund der globalen ökologischen Krise davon aus, dass der notwendige Wandel unsere ganze Lebens- und Wirtschaftsweise umfassen muss, um die Zerstörung der Grundlagen des Lebens auf diesem Planeten zumindest abzubremsen. Wir setzen dabei auf der lokalen Ebene an, in unserem unmittelbaren Lebensumfeld, in unseren Kiezen und Nachbarschaften, in dem die Auswirkungen des eigenen und gemeinschaftlichen Tuns unmittelbar erfahrbar sind. Wir tun dies im Wissen darum, dass der Wunsch nach positiven Veränderungen und nach dem Erhalt der natürlichen Grundlagen unseres Lebens von vielen Menschen auf der ganzen Welt geteilt wird. Mit ihnen handeln wir solidarisch.

Lernen ist für uns ein Gemeingut ohne Zugangsbeschränkungen und nicht auf Universität oder Schule beschränkt, nicht auf Karrieren und Diplome. Kollektives Lernen heisst für uns, sich gemeinsam konkretes Wissen anzueignen, um die Welt um uns herum zu verändern: Handlungswissen aus Freiräumen wie urbanen Gärten, Selbstbau- oder Repair-Initiativen, Gemeinschaftsräumen und Stadtteilküchen. Wie können diese Erfahrungen dabei helfen, nicht nur kleine Oasen für Wenige zu schaffen, sondern zu einer Stadt beitragen, die weniger Müll und Abgase produziert, Wohnraum und Bildung für alle gewährleistet, in der wir uns ohne Staus und Luftverschmutzung fortbewegen und eine Stadt für alle schaffen, für Neu- und Altberliner*innen, für Alt und Jung, für kommende Generationen, für menschliche und nicht-menschliche Bewohnerm, eine Stadt des Sorgetragens statt der Konkurrenz und des Profits. Eine Stadt im Einklang mit den natürlichen Grenzen des Planeten, die gleichzeitig eine Stadt des guten Lebens (buen vivir) ist.
Die Krise als Chance?

Der Lockdown vom März 2020 als Impuls zur Gründung einer selbstorganisierten Akademie des kollektiven Lernen

Schon lange arbeiten wir im Rahmen der Experimentdays, der Nachbarschaftsakademie und im Projekt "urbane Resilienz" des Prinzessinnengarten an unterschiedlichen Lern- und Bildungsformaten, die Fragen sozialer und ökologischer Gerechtigkeit miteinander verbinden. Die Idee, diese Erfahrungen zu einer selbstorganisierten Akademie des KOLLEKTIVEN LERNENS weiterzuentwickeln hat mit dem Lockdown im Zuge der Covid19-Krise im März 2020 konkrete Gestalt angenommen. Unsere erste Reaktion bestand darin, kollektiv Texte und Analysen zur derzeitigen Situation zu sammeln, um besser die ökologischen Ursachen von Pandemien ebenso wie die sozialen und ökonomischen Folgen besser zu verstehen.
Die teilweise Isolation hat aber auch noch einmal die Bedeutung des Austausches für uns als Initiativen und Engagierte unterstrichen und welche Rolle das gemeinsame Zusammenkommen, Freiräume und auch Formen der Geselligkeit für den Austausch, das wechselseitige Lernen und das gemeinsame Handeln spielen. Hier einige Gedanken dazu aus dem März 2020


„This Changes Everything“ überschrieb Naomi Klein ihr 2014 veröffentlichtes Buch zur Klimakatastrophe. Eine Absage an den weit verbreiteten Glauben, man könne unter dem Stichwort der „Nachhaltigkeit“ den Auswirkungen des Klimawandels im Rahmen einer weiter auf Wachstum basierenden Ökonomie begegnen. Klein macht seit ihrem Buch „Shock Doctrine“ nicht nur darauf aufmerksam, wie Krisen immer wieder dazu genutzt wurden, die Wunschliste einer neoliberalen Agenda auch gegen politischen Widerstände durchzusetzen. Diese Krisen böten gleichzeitig auch die Chance für weitreichende transformative Bewegungen für ein Mehr an sozialer und ökologischer Gerechtigkeit. Unter der Überschrift „Plötzlich, alle“ beschreibt Naomi Klein, wie es immer wieder Momente gibt, in denen entgegen aller Vorhersagen die Gesellschaft zu dem Schluss kommt, sie hat genug, es kann so nicht weitergehen. Aus scheinbar isolierten Stimmen wächst die plötzliche Einsicht, dass der Wunsch nach Veränderungen von viel mehr Menschen geteilt wird, als zuvor angenommen. Das gilt insbesondere für den Schutz der natürlichen Grundlagen des Lebens auf der Erde.
Ein Moment des Wandels der öffentlichen Wahrnehmung war rückblickend vermutlich auch der August 2018, als sich nach einer beispiellosen Hitzewelle die fünfzehnjährige Schülerin Greta Thunberg alleine vor das Schwedische Parlament setzte und auf einem selbstgemalten Schild einen „Schulstreik für das Klima“ begann. Es fehlte zuvor nicht an fachlichen Warnungen vor den Auswirkungen der Klimakatastrophe. Ebensowenig fehlte es an politischen Absichtserklärungen und internationalen Konferenzen. Doch es bedurfte dieses individuellen Aktes zivilen Ungehorsams, damit sich eine Generation weltweit in Thunbergs „How dare you!“ wiedererkannte und seither für die Rettung ihrer Zukunft auf die Straße geht.

„Dies ändert alles“, heisst es auch zu den Auswirkungen der gegenwärtigen Clovid-19-Krise. Was wir in den letzten Wochen im Unterschied zur Klimadiskussionen erleben, ist nicht nur die Wahrnehmung einer globalen Bedrohung, sondern als Folge ein beispielloses Eingreifen der Staaten in Wirtschaft, Gesellschaft und Freiheitsrechte. Ende März 2020 befinden sich mehr als 2,3 Milliarden Menschen weltweit in einem Lockdown. Überall auf der Welt praktizieren die Menschen „Social distancing“ und „self-isolation“, um das schnelle Ausbreiten des Virus  zu verhindern und die - weltweit sehr ungleich ausgestatteten - Gesundheitssysteme zu entlasten. Zumindest für einen Moment zwingt uns die Furcht vor Millionen Toten dazu, auch vorher als „unrealistische“ ökologischen Forderungen nach einer Verringerung des Konsums, einer weitgehenden Einstellung des Flugverkehrs, einem Zurückfahren der Produktion von heute auf morgen Realität werden zu lassen. Nicht mehr Banker oder Fondsmanager gelten als systemrelevant, sondern Krankenschwestern, Kassierer*innen, die Erntearbeiter*innen in der Landwirtschaft sowie die Sorgearbeit für die Kinder und Älteren. Die Krise macht nicht nur sichtbar, was gegebenenfalls verzichtbar wäre, sondern sie erinnert uns auch darin, was für unser zusammenleben unverzichtbar ist: der soziale Zusammenhang, die wechselseitige Hilfe, der Austausch mit anderen, Solidarität und Unterstützung jener, die den Folgen stärker ausgeliefert sind. Möglichkeiten tun sich auf, die noch gestern undenkbar waren. Der Wert von Sparsamkeit, die Reduzierung der Arbeitszeit, eine gleiche Versorgung der Grundbedürfnisse, die Verabschiedung des Wachstumsparadigmas, die Stärkung von Forschung, Bildung und Gesundheit, die Förderung des Wohlergehens aller, der Kontakt zu den Nachbarn. Die Krise vergrößert wie eine Lupe bereits vorhandene gesellschaftliche Probleme, aber auch Möglichkeiten des gemeinsamen Handels.

Es wäre vermessen, heute sagen zu wollen, was die kurz- und langfristigen Folgen der Krise sein werden. Neben den optimistischen Erwartungen einer Abkehr vom Wachstumsparadigma, einer Stärkung öffentlicher Gesundheitsversorgung oder der Notwendigkeit ein Grundeinkommen für alle einzuführen, stehen Befürchtungen eines globalen ökonomischen Krise, eines Fortbestandes der Regeln des Ausnahmezustandes einschließlich weitgehender Einschränkung von Freiheitsrechten, einer Aufkündigung sozialer und ökologischer Regeln zugunsten einer Wiederankurbelung des bestehenden Wirtschaftssystems. Auch wissen wir nicht, was die Erfahrungen von wochen-, vielleicht monatelanger Isolation und die Praxis des „social distancing“ für sozialpsychologische Folgen haben wird.

Die gegenwärtige Krise berührt viele Fragen, die auch in urbanen und interkulturellen Gemeinschaftsgärten in den letzten beiden Jahrzehnten praktische Bedeutung hatten. Von der Frage der lokalen und regionalen Lebensmittelversorgung, über die Bedeutung dieser grünen Freiräume für den sozialen Austausch und das Herausbilden von Communities, bis zur Frage, inwieweit die ökologischen Folgen unserer Art zu Wirtschaften, insbesondere aber der industriellen Landwirtschaft, Krisen wie diese verschärfen oder sogar für ihr Ausbrechen verantwortlich sind. Leere Regale und die Sorge um die Verletzlichkeit der langen, globalisierten Versorgungsketten haben, wie etwa die New York Times am 25.3. berichtete,1 zu einer Rückkehr der Idee der Victory Gärten geführt. Während des 2. Weltkrieges hatten 20 Millionen dieser Selbstversorgungsgärten die Lebensmittelversorgung der USA unterstützt. Auch rückt der physische wie psychische gesundheitliche Wert des Aufenthalts und der aktiven Tätigkeit im Garten und der Erfahrung gemeinsamen Handeln stärker in den Vordergrund. Die Krise zeigt auch die unschätzbare Bedeutung von nachbarschaftlichen Netzwerken der Solidarität und gegenseitiger Hilfe, für die die urbanen Gärten ein wichtiges Beispiel sind. Diese Netzwerk liefern wichtige Informationen und Unterstützung, die die Versorgung von obdachlosen Menschen, die Beratung für finanzielle Förderungen, DIY-Anleitungen für Gesichtsmasken ebenso umfassen, wie die Sorge um das gemeinsame Wohlergehen und Tips für ein „gutes Leben“ trotz der Einschränkungen der Quarantäne. Erst mit zunehmender Isolation spüren wir, wie sehr urbane Gärten auch Sehnsuchtsorte und Experimentierräume sind für eine andere, weniger destruktive, ressourcenverbrauchende und konkurrenzorientierte Art des Zusammenzuleben. Gleichzeitig zeigen uns die gegenwärtigen Krisen auch, dass lokale, von unten organisierte Lösungen nicht zu trennen sind vom Ausbau bzw. von der Entwicklung neuer, demokratischer Formen der Daseinsvorsorge, die in größerem (kommunalen, nationalen, europäischen und globalen Maßstand) die Pfadänderungen in Richtung auf eine sozial und ökologisch gerechte Zukunft einleiten und unser Naturverhältnis fundamental umgestalten.

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